Eine Reihe von Betreibern von Stromnetzen sind bundesweit betroffen und eigentlich reichte die Zeit zwischen der Veröffentlichung der Festlegung und der Umsetzung der Netzentgeltkalkulation nicht aus, um sich ein Bild zu machen und Handlungsoptionen zu diskutieren.
Wir betrachten nachfolgend die Situation zwischen Netzbetreibern, die sich ggf. aber auch auf das Verhältnis zwischen Netzbetreiber und Netzkunde überleiten lässt.
1. Auswirkungen auf nachgelagerte Netzbetreiber
Relevante Fallkonstellationen sind vor allem beim Anschluss nachgelagerter Netze an die Ebene HS/MS im Umspannwerk (UW) über Leistungsschalter im Eigentum des vorgelagerten Netzbetreibers (NB):
- Die komplette Mittelspannungssammelschiene und -schaltanlage (MS-SA) befindet sich im Eigentum des vorgelagerten NB, dabei ist die Eigentumsgrenze der Kabelendverschluss (KEV) des abgehenden MS-Kabels.
- Die abgesetzte MS-Sammelschiene des nachgelagerten NB, welche über Leistungsschalter und Kabel an die MS-Sammelschiene des vorgelagerten NB angeschlossen ist.
Grenzfall: Ein Kuppelschalter (mit Messung) verbindet direkt die Sammelschienenabschnitte des vorgelagerten und nachgelagerten NB, ohne zwischengeschaltetes Kabel. - Komplexere Anschlusssituationen mit längeren MS-Anschlusskabeln werden hier nicht betrachtet.
Umgekehrt sind bei einer Eigentumsgrenze am Trafoableitgerüst der MS-Trafoleistungsschalter und die Trafoanschlusskabel im Eigentum des nachgelagerten NB.
Auf das Ergebnis des nachgelagerten Netzbetreibers hat der Wegfall der singulären NNE zunächst keinen unmittelbaren Einfluss, da die vorgelagerten Netzentgelte inklusive singulärer Betriebsmittel Durchlaufposten darstellen. Dennoch werden das Regulierungskonto und die Liquidität des Netzbetreibers unnötig beeinflusst.
Zudem stellt sich eine Erhöhung der Netzkosten auch immer als Erhöhung der Netzentgelte gegenüber den Netzkunden und Vertrieben dar. In der Kalkulationsrunde 2026 ging dieser Effekt jedoch überwiegend unter, denn die vorgelagerten Netzkosten waren teils stark geprägt von dem Bundeszuschuss an die Übertragungsnetzbetreiber (ÜNB) in Höhe von 6,5 Mrd. Euro, welcher die Entgelte der ÜNB nahezu halbiert hat. Doch hier ist Weitsicht geboten, denn die Netzentgelte stehen im Fokus der Öffentlichkeit und werden entsprechend wahrgenommen und diskutiert, sicherlich nicht nur im nächsten Jahr, sondern selbstverständlich auch in den Jahren danach.
Per Gesetz ist der nachgelagerte Netzbetreiber aber auch gehalten, für seine Kunden niedrige Netzentgelte anzustreben (§ 1 EnWG, Kriterium Preisgünstigkeit). Daher muss er prüfen und abwägen, wie er mit dem Wegfall der singulären Netzentgelte und einer mutmaßlichen Netzkostenerhöhung umgeht. Hier sind Handlungsoptionen und Lösungen gewünscht!
Ein weiterer Nebeneffekt stellt sich bei genauem Hinschauen dar: Die Erhöhung der Netzentgelte ist auch nachteilig für den betroffenen Netzbetreiber im Konzessionswettbewerb, denn auch hier ist eines der wichtigsten Kriterien die Preisgünstigkeit.
Durch den Wegfall der singulären Netzentgelte ändert sich das Preisgefüge des vorgelagerten NB: Die HS/MS-Briefmarke (Netzebene 4) wird tendenziell teurer, da die Kosten der Ebene über weniger Kundenentnahmen gewälzt werden und der vorweggenommene Erlösanteil der singulären Betriebsmittel entfällt.
Weiterer Effekt: Pooling! Das Pooling ist durch den Wegfall der singulären Netzentgelte z.T. betroffen: Durch die Änderung der Abrechnungsebene ändern sich ggf. die Pooling-Gruppen. Das Pooling mehrerer MS-Abgänge in einem UW sollte bestehen bleiben (Anschluss an einem Netzknoten).
2. Notwendige Prüfungen durch / für den nachgelagerten NB
Um Handlungsoptionen nun auch bewerten zu können, gilt es, die Auswirkungen der bestehenden Möglichkeiten abzuschätzen.
a) Saldo Singuläre NNE vs. Differenz HS/MS-MS-Briefmarke
Dies wäre die Standardprüfung, um überhaupt Auswirkungen zu quantifizieren und ein Preisblatt zu bestimmen.
Pancaking (§ 14.2 StromNEV):
Variantenprüfung: Vergleich der Abrechnung mit Pancaking und geteilten MS-Briefmarken vs. Abrechnung mit singulären Betriebsmittel und HS/MS Briefmarke.
Dabei ist die Eigentumsgrenze des Kabelendverschluss (KEV) am abgehenden MS-Kabel im UW ein extremer Fall des Pancaking: der vorgelagerte NB hat keine Netzlänge in der MS-Ebene, der nachgelagerte NB die volle Länge. Eine Pancaking-Prüfung auf Härtefallregelung ist daher geboten.
Dennoch: Die Umsetzung einer Pancaking-Härtefallregelung ist aufwändig für die Regulierungsbehörde und den vorgelagerten NB in voller Ausprägung.
→Dies wäre ein gutes Argument für den vorgelagerten NB, auf andere Regelung auszuweichen.
b) Pauschalierte MS-Briefmarkenteilung entsprechend Regelungen z.B. in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern
In Baden-Württemberg existiert seit langem eine Regelung, dass die MS-Briefmarke unter Gesichtspunkten des § 14.2 StromNEV anteilig angewandt wird, wenn das nachgelagerte Netz in der MS-Ebene des vorgelagerten NB angeschlossen ist. Andere Bundesländer haben z.T. vergleichbare Regelungen. Diese Regelungen sollten daher auch für die Fälle durchgeführt werden, in denen der vorgelagerte NB lediglich das Schaltfeld im UW im Eigentum hat.
c) Lösungsansätze
I. Pacht des Schaltfelds inkl. Betriebsführung
Zunächst bleibt festzuhalten, dass die einheitliche Betriebsführung des UW nur durch den vorgelagerten NB stets sinnvoll und erstrebenswert ist. Zudem ist das einheitliche Eigentum in einer typischen MS-Schaltanlage technisch generell sinnvoll:
Die Eigentumsgrenze läge an der Sammelschiene oder verliefe in der Sammelschiene. Die Sammelschiene geht durch alle Schaltfelder und alle technischen Anpassungen in der Schaltanlage und erzeugt daher einen hohen Abstimmungsbedarf der Beteiligten. Durch Schalter getrennte Sammelschienenabschnitte sind jedoch üblich und technisch unkritisch.
Für die Zuordnung zu einer Abrechnungsebene reicht der Besitz des betreffenden Betriebsmittels aus. Das Eigentum kann einheitlich bleiben, wenn das Schaltfeld von dem vorgelagerten an den nachgelagerten NB verpachtet wird. Da die Betriebsverantwortung beim Besitzer liegt, sollte die Verpachtung daher inkl. aller notwendigen technischen Betriebsführungsdienstleistungen erfolgen.
Die Verpachtung von Netzteilen und die daran gekoppelten Betriebsführungsdienstleistungen können im regulierten Bereich des vorgelagerten NB erfolgen. Eine Überführung in den nicht-regulierten Bereich erscheint eher schwierig.
II. Durchsetzung der betriebsgeführten Verpachtung
Für die betriebsgeführte Verpachtung ist die Mitwirkung des vorgelagerten NB erforderlich. Es stellt sich aber die Frage, ob er dieses Angebot verweigern kann. Der vorgelagerte Netzbetreiber ist Monopolist für dieses Angebot.
Ein zentraler Maßstab für die Bewertung, ob der vorgelagerte NB missbräuchlich handelt, wenn er ein derartiges Angebot verweigert oder zu unangemessenen Konditionen bereitstellt, ist, welche Situation sich bei wirksamem Wettbewerb einstellen würde.
→ Bei wirksamem Wettbewerb würde ein solches Angebot gemacht! Der vorgelagerte NB kann es daher nicht verweigern (BGH, Urteil vom 15. Dezember 2015 - EnZR 70/14) und muss auch angemessene Konditionen anbieten (z.B. nach NNE-Verordnung).
Relevant kann dabei aber auch sein, wenn andere vorgelagerte NB eine betriebsgeführte Verpachtung anbieten. Es ist fraglich, ob ein vorgelagerter NB dieses Angebot ohne sachlichen Grund verweigern kann (Diskriminierung im Vergleich zu anderen vorgelagerten NB).
Dabei kann ein gutes Argument gegenüber dem vorgelagerten NB auch die Anwendung der komplexen Härtefallregelung sein. Sollte sich bei Nichteinigung zwischen den vorgelagerten und nachgelagerten NB im Nachhinein herausstellen, dass die Verweigerung einer sachgemäßen „betriebsgeführten Verpachtung“ rechtswidrig war, sind die betreffenden NNE-Kalkulationen im Nachhinein zu korrigieren. Dies verkompliziert die Situation des Regulierungskontos und führt zur Wälzung von Mehrerlösen.
Fazit
Bezüglich der Situation der Eigentumsgrenze am Kabelendverschluss der abgehenden MS-Kabel ist klar festzustellen, dass der Wegfall der singulären NNE durch eine „betriebsgeführte Verpachtung“ der betreffenden Schaltfelder an die nachgelagerten NB sachgemäß und geboten ist.
Davon unbenommen sollte jeder betroffene nachgelagerte NB prüfen, welche Auswirkungen der Wegfall der singulären NNE auf seine Netzentgelte hat und inwieweit andere Regelungen (wie die Pancaking-Härtefallregelung) hier greifen.
Um komplexe Rückabwicklungen der NNE-Kalkulation zu vermeiden, sind alle Beteiligten gehalten, zügig eine sachgemäße Regelung zu treffen. Die „betriebsgeführte Verpachtung“ dürfte hier in vielen Fällen die Vorzugslösung sein.
Für Fragen und einen Austausch stehen wir Ihnen gerne zur Verfügung.
Dr. Wolfgang Zander
Generalbevollmächtigter
E-Mail
Oliver Radtke
Leiter Kompetenzteam Regulierung
E-Mail
Kevin Löer
Senior Manager
E-Mail